Es war in den späten 80ern. Ich benötigte ein paar Fotos von mir, meine Schwester fotografierte mich im Garten unserer Eltern. Mitten in die Session schmuggelte sich mein Papa, der – die Schere in der linken Hand bezeugt es – am garteln war. Während ich also versuchte, meiner Person durch den geheimnisvollen Blick nach links oben eine träumerisch-romantische Attitüde zu verleihen, lachte er directement cheesig-schelmisch in die Kamera, um uns das Portrait zu vermasseln. Du warst einmalig, geliebter Papa.
Vor zwei Tagen starb er 91jährig auf der Intensivstation eines Krankenhauses, letztlich an den Folgen eines minimalinvasiven Herzklappen-Eingriffs im Mai. Er, der Intellektuelle, der Einser-Abiturient, erwachte damals im Delir, nicht mehr wieder zu erkennen und kämpfte auch noch mit offenbar erfolgten Mikro-Schlaganfällen. Nicht nur mein Papa war völlig desorientiert, sondern auch die betreuenden Ärzte, die mit seiner heftigen Nachtaktivität überfordert waren und hilf-und sinnlos mit Medikamenten herumexperimentierten. Die Familie übernahm eine Pflege, die sonst keiner leisten konnte: Wir wachten abwechselnd über seine Nächte, um Stürzen vorzubeugen. Bis wir selbst fast zu Pflegefällen wurden.
Nach vielen Versuchen fanden wir ein Pflegeheim, aber nur weil die Sozialstation des Krankenhauses in ihrem Schreiben log, dass sich die Balken bogen. Von nächtlicher Aktivität war dort keine Rede, obwohl sie der einzige Grund war, ihn in ein Heim zu geben. Keine vier Tage lebte er dort als er wegen eines Sturzes und scheußlichen Lungengeräuschen wieder ins Krankenhaus gebracht wurde. Seine letzte Station.
Nie in meinem Leben war ich meinem Vater so nah wie in der Zeit als wir ihn zu Hause pflegten. Ich brachte ihn aufs Klo, hob ihn aus dem Rollstuhl und hielt stundenlang seine Hand. Nachts halluzinierte er unverständlich lallend vor sich hin. Doch einmal, vor wenigen Tagen, sprach er ganz klar artikulierend in mein Ohr als er für seinen Halt im Stehen seine Arme um mich schlang: „Ich kann nicht mehr. Führ mich heim.“
Während es mir fast das Herz zerriss, antwortete ich ihm, dass mir dies nicht zusteht. Er verstand. Als er mit einer kapitalen Lungenentzündung bald danach im Koma lag, erlaubten wir das langsame Abschalten lebensverlängernder Maßnahmen. Am frühen Morgen tat er seinen letzten Atemzug und war erlöst.
Danke für soviel! Ich hoffe, Du bist gut angekommen. See you, Dad.
Mehrfach, oft, immer wieder, nochmal. Ich umarme Dich in der Traurigkeit die Dich bitte nicht umrennt.
Im Oktober des vergangenen Jahres erlebte ich dieses Drama. Am 31.12., 23.58 Telefon klingelt. Wir stehen vor meinem Haus. „Nein, die Klinik!!!“ ( ich hoffte: Daddy ruft an. Und gratuliert zum neuen…
„Ja, hallo? Naundorf hier.“
Er ist friedlich eingeschlafen. Schönen Abend noch.“ und legt auf.
Ein Wissenschaftler, Intellektueller, mein Daddy.
War bei mir, als ich büßen musste für das Land und das was ich vertrat.
Sei umarmt.
Sorry für Tippfehler
Der Tod ist eine ungeheuerliche Zumutung.
Danke vielmals für die Resonanz.