Je suis Hanitzsch

Schon um einen möglichen Applaus von der falschen Seite sogleich auszusperren, eine Vorbemerkung:

Ich leide – vielleicht mehr als es gesund zu nennen wäre – zutiefst unter der deutschen Vergangenheit, habe mein Leben lang Schuld, Scham und tiefe Trauer über die Nazi-Barbarei, über die Judenvernichtung und die Millionen Kriegstoten, die dieses Land zu verantworten hat, mit mir getragen, und werde dies bis zu meinem letzten Atemzug tun. Ich sage nicht nur: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, sondern auch mit aller Emphase: „Nie wieder Rassismus.“

Wir können davon ausgehen, dass der Karikaturist Dieter Hanitzsch dieses politische Bekenntnis unterschreiben würde. Wenn sein Rausschmiss aus der Süddeutschen Zeitung ein Beitrag sein soll, in Deutschland den Antisemitismus einzudämmen, könnte dies nach hinten losgehen.

Die Zeichnung, um die es geht, ist nicht antisemitisch. Schon allein deshalb, weil ihr Urheber kein Antisemit ist. Sie ist meines Erachtens misslungen, weil sie lieblos angefertigt scheint und ihr eine gute, satirische Pointe fehlt, aber antisemitisch? Den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung erinnert sie an „unerträgliche Zeichnungen der nationalsozialistischen Propaganda“, die „eine rote Linie“ überschreitet. Damit kann nur die Darstellung von Netanjahu gemeint sein. Denn die Raketen sind real, Netanjahu in Nettas Gewand ist eine schale, aber harmlose Idee, und der Davidstern ist das auch in der Flagge verwendete Symbol für Israel, wie Hammer und Sichel es für die Sowjetunion waren. Zeichner ziehen nun mal das Bildhafte einem Schriftzug vor.

Netanjahu ist eindeutig zu erkennen, wir haben es also keineswegs mit einer stürmer-mäßig rassistischen Judendarstellung mit den “antisemitischen Stereotypen“ zu tun. Dass er ein Mann mit großen Ohren ist, wird jeder Karikaturist betonen. Dieses Schicksal teilt Netanjahu mit De Gaulle, Genscher, Obama, Sarkozy und vielen vielen anderen. Wenn es antisemitisch ist, Netanjahu zu karikieren wie jeden anderen Politiker, dann hieße dies – zu Ende gedacht -, dass man ihn überhaupt nicht karikieren dürfte.

Große Ohren von Bubec

Dass Deutschland besonders sensibel auf Antisemitismus achten muss, liegt in der Natur der Geschichte. Ich wünschte mir trotzdem mehr Sensibilität mit anderen Rassismen. Da wird sich nämlich schon mal mit Charlie Hebdo solidarisiert, einer Zeitschrift, die sich durch besonders ekelhaften anti-arabischen Rassismus hervortut. Auch die Tatsache, dass es im Land ein viel größeres Problem mit anti-muslimischen Aggressionen gibt, tritt allzusehr in den Hintergrund.

Womöglich erkennt nicht nur der Antisemitismus-Beauftragte eine rote Linie, sondern auch der Bürger. Wenn nämlich die Ungleichbehandlung von gleichen Tatbeständen zum Himmel schreit. Das beginnt bereits beim Wording in den Medien. Wenn unbewaffnete Palästinenser, die hinter einem Elektrozaun protestieren, brutal von israelischen Snipern erschossen werden, liest man von „Zusammenstößen“, und die Opfer „starben“, als hätten sie etwas Schlechtes gegessen. Da darf Israel heftigst und dauerhaft gegen Völkerrecht verstoßen (Golan-Besetzung, Siedlungspolitik, ständige Bombardierung Syriens) und – wie jüngst Netanjahu – einen Krieg gegen den Iran ankündigen, “lieber jetzt als später“. Und eine Ministerin antwortet auf eine Journalisten-Frage, warum man auf die Palästinenser schießt: Weil man nicht alle ins Gefängnis stecken könne. Kein Protest im Westen, keine Sanktionen – Israel ist im Besitz einer carte blanche für seine aggressive Politik. Das darf nicht sein, das kann nicht durch Auschwitz gerechtfertigt sein. Menschen- und Völkerrecht sind unteilbar, meine Empathie für geschundene Menschen übrigens auch.

Die meines Erachtens völlig überzogene und feige Entscheidung der SZ, einen links-liberalen Zeichner hinauszuwerfen, der seit Jahrzehnten gleichsam zum Inventar der Zeitung gehört, befeuert eine ohnehin bereits hysterische Stimmung und Debatte, die zunehmend aus dem Ruder läuft. Seit Jahren schon wird der Antisemitismus als Kampfbegriff gegen jegliche Kritik an der israelischen Politik instrumentalisiert. Der Holocaust kann nicht herhalten dürfen für eine Immunität der stramm-rechts bis faschistoiden Regierung in Israel, die im Begriff ist, mit Hilfe ihrer Schutzmacht USA den einigermaßen intakten Rest des Nahen Ostens anzuzünden.

Die quasi politisch verordnete Verdrängung israelischen Unrechts sowie Vorgänge wie die Kündigung von Dieter Hanitzsch werden in unserer Gesellschaft – nicht nur unter Muslimen – Ressentiments erzeugen, die bei Gott keiner wollen kann.

 

3 Antworten to “Je suis Hanitzsch”

  1. Die Karikatur übertreibt, um zu verdeutlichen. „Caricare“ ist Italienisch und bedeutet „überladen.“ Nicht nur Genscher, auch Reich-Ranicki hat mir gesessen und über die Karikatur sehr gelacht. Kein Wort davon, sie sei antisemitisch. Diese Keule holt man gerne hervor, wenn ein Karikaturist mal nicht mit der Politik Nehanjahus einverstanden ist. Sie hat bei den Kollegen, die ich gut kenne und die auf diese Weise angegriffen wurden, nichts mit Antisemitismus zu tun sondern mit Pazifismus. Aber was ist mit Dieter Hanitzschs Redakteur? Bei jeder Zeitung, die etwas auf sich hält, gibt es einen, der für die Veröffenlichung des gezeichneten satirischen Kommentars zuständig ist. Hat man den Herrn auch gefeuert?
    Genscher hat seine großen Ohren als Markenzeichen gesehen.“Was darf die Satire?“, fragt Kurt Tucholsky. Antwort: „Alles.“
    Bubec, Karikaturist und Chefredakteur i. R.

  2. Sie dürfen ruhig „Sie“ zu mir sagen.
    Bubec, Karikaturist, Chefredakteur i. R. 80 Jahre alt und hat noch etws Seltenes anerzogen bekommen: Anstand.

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