Westliche Außenpolitik als schwarze Pädagogik

In den 70er Jahren machte BILD eine Umfrage bei prominenten Eltern, wie sie ihre Kinder bestrafen. Dabei enthüllte Heide Adele Albrecht, Mutter von sieben Kindern, eine besonders drastische Strafe. Sie schickte ihren Sohn Harald ohne Handschuhe in den Wald, einen Strauß Brennnesseln zu pflücken, weil er an einem Schulausflug nicht teilnehmen wollte. Er kam mit dicken roten Fingern zurück. Sie erzählte dies der BILD-Reporterin voller Naivität, offenbar deshalb, weil sie diese Art der Bestrafung nicht anstößig fand. Michael Spreng, der Autor dieser Zeilen, fügt hinzu, man wisse nicht ob die Tochter Ursula von diesen Erziehungsmaßnahmen betroffen war.

Gut vorstellbar, dass Heide Albrecht auf kritische Nachfrage geantwortet hätte: Mein Sohn Harald hätte mir eine Schwäche nie verziehen.

Der Kreml verzeiht keine Schwäche. Aus einer Position der Stärke heraus sollten wir an den Russland-Sanktionen festhalten. Parallel dazu muss Russland der Dialog angeboten werden.

Dies die herablassenden Worte der künftigen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, geborene Albrecht, in einem Interview mit der Welt. Der Kreml verzeiht keine Schwäche: eine sehr spezielle Wortwahl, ein psychologisches Paradoxon, wie entsprungen aus der Welt der schwarzen Pädagogik. Wenn wir schwach (=freundschaftlich/mitfühlend) sind, ist uns der Kreml böse und wird uns überrollen. Das entspricht der Angst von Eltern, ihre (natürlich bösen) Kinder würden ihnen auf der Nase herumtanzen, wenn nicht genug Härte demonstriert wird. Frau von der Leyen geriert sich mit ihrer Aussage als über dem „Kreml“ stehend (sie meint natürlich Wladimir Putin) und  konstruiert damit eine völlig unangebrachte, unglaublich überhebliche Eltern-Kind-Situation.

Erinnert die momentane westliche Außenpolitik auch sehr an den Kalten Krieg der 80er Jahre, so respektierten sich immerhin die feindlichen Blöcke damals gegenseitig als auf Augenhöhe stehende Verhandlungspartner. Dies hat sich seit der Auflösung der Sowjetunion grundlegend geändert. Unter Jelzin war Russland das totgerüstete, erlegte Beutetier, das man auszuweiden gedachte. Putin trat dem entgegen, was ihm der Westen nie verziehen hat, obwohl er die enge Zusammenarbeit angestrebt und fast schon bettelnd gesucht hat. Mit dem Ergebnis, dass man Putin inzwischen wie einen bösen Jungen betrachtet, der mit Härte erzogen werden muss.

Von der Leyen vertritt als Vasallin der sich im Niedergang befindlichen USA die neue westliche Außenpolitik: Diplomatie war gestern; wir drohen, wir erpressen, wir strafen – aus einer vermeintlichen Überlegenheit heraus und durch die Bank mit unbewiesenen Anschuldigungen wie in Sachen MH17 und Skripal. Ganz zu schweigen von den auch von von der Leyen ad nauseam nachgeplapperten Vorwürfen einer angeblichen von Russland angestrebten Spaltung Europas und Desinformationskampagne in den sozialen Medien, wofür es nicht einmal die Spur eines Beweises gibt. Putins Plan war und ist, sein Land wieder aufzubauen, und dazu braucht er Wirtschaftspartner wie die EU. Warum sollte er die EU spalten wollen? Damit man ihm Nordstream zertrümmert?

Doch Putin ist inzwischen cool, er lässt sich nicht provozieren und reagiert eben nicht wie ein beleidigtes Kind, wie es sich der Westen so sehr wünscht. Er und sein großartiger Außenminister wenden sich schlicht anderen Partnern zu, mausern sich mittlerweile zu einer Macht, um die etwa im Nahen Osten keiner mehr herumkommt. Mit Putin und Lawrow reden sie alle, weil die beiden für eine unideolgische, pragmatische und die Interessen Anderer respektierende Politik stehen. Wir müssen Putin dankbar dafür sein, dass er die vom Westen zugewiesene Rolle als böser, erziehungsbedürftiger Bube verweigert und ruhig abwartet, bis der Westen hoffentlich wieder zur Vernunft kommt.

 

2 Antworten to “Westliche Außenpolitik als schwarze Pädagogik”

  1. fidelpoludo sagt:

    Volle Zustimmung. Und gut geschrieben. Danke!

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